April 13, 2018

Prostituiertenschutzgesetz, Fachbeirat installieren. Mai 2017

Mit der Situation der Sexarbeiter*innen in Frankfurt beschäftige ich mich schon seit Jahren. Meine Position dazu habe ich zum  Beispiel in einem Zwischenruf im journal frankfurt http://www.ursula-aufderheide.de/medien/schluss-mit-rotlicht-und-sozialromantik/ deutlich machen können.

Seit Langem ist es auch der Wunsch aller in  Beratung und Streetworking Tätigen, einen FACHBEIRAT PROSTITUTION unter Federführung der Stadt einzusetzen, in dem ALLE beteiligten städtischen Ämter, Polizei, Finanzamt und Vertreter der sozialen Träger zusammenarbeiten und Vorschläge zur Verbesserung der Situation der Sexarbeiter*innen erarbeiten.

*Die Fotos im Beitrag sind Teil der Kampagne gegen Armutsprostitution in Stuttgart.

Einen entsprechenden Antrag hatte ich schon im Jahre 2015 (!) nach langen, intensiven Diskussionen in der grünen Fraktion erarbeitet, aber leider keine Unterstützung durch die CDU erhalten. Mit der Planung des in 2017 in Kraft getretenen Prostituiertenschutzgesetzes und seinen umfangreichen Vorschriften auch für die Verwaltung, war aber Handlungsbedarf geschaffen worden. Auch deshalb ist es mir gelungen, die Installation eines Fachbeirates im Koalitionsvertrag mit CDU und SPD zu verankern.

Am 4.5.2017 https://www.stvv.frankfurt.de/PARLISLINK/DDW?W=DOK_NAME=%27PAR_1296_2017%27 wurde er endlich beschlossen, durch einen Haushaltsantrag http://www.stvv.frankfurt.de/download/E_38_2017.pdf gestützt und hat inzwischen erfolgreich die Arbeit aufgenommen.

Natürlich hatten wieder einige etwas zu meckern. Hierzu meine Rede in der Stadtverordnetenversammlung am 4. Mai 2017:

Herr Vorsteher,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

 

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nehmen in Deutschland täglich zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Männer sexuelle Dienstleitungen in Anspruch und zahlen dafür, so dieselbe Quelle, 14,6 Milliarden Euro. Nach Schätzungen gibt es in Deutschland zwischen 200.000 und 400.000 Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, also mehr Beschäftigte als zum Beispiel bei der Deutschen Bahn AG. Ganze 44 Personen sind sozialversichert, das Steueraufkommen ist ein gut gehütetes Geheimnis. Für Frankfurt liegen gesicherte Zahlen nicht vor, aber niemand hier wird wohl bezweifeln, dass der Anteil an der Branche erheblich ist. Sexarbeit ist also kein marginales Thema, sondern ein durchaus relevanter Bereich unserer Stadt, mit dem wir uns heute befassen.

 

Seit 2001 ist Sexarbeit in Deutschland legal. Dennoch blieb diese Branche ein fast ungeregelter Bereich, gewerberechtlich, steuerrechtlich, arbeitsrechtlich und gesundheitsrechtlich mit gravierenden sozialen Folgen. Der Bundesgesetzgeber war lange untätig, aber auch die Stadt Frankfurt hatte bisher das Thema nicht grundlegend angefasst. Zwar gab und gibt es die Unterstützung von Hilfsorganisationen, auch Interventionen durch das Ordnungsamt, aber es wurde, anders als in anderen Städten, keine Haltung zu diesem Thema entwickelt.

 

Sie alle haben vermutlich die Stellungnahme der bekannten Sexarbeiterinnenvertretung erhalten, die wie üblich vehement jegliche Regulierung ablehnt und auch keinerlei sozialen Handlungsbedarf sieht. Regelungsfreie Zustände sind gut für die Stärke mächtiger und gut organisierter Personen und Betriebe, haben aber fatale Folgen für diejenigen Sexarbeiterinnen, die in der Armuts- und Beschaffungsprostitution tätig sind und ohne Rechte und Schutz bleiben. Noch mehr für all jene, die illegal tätig sind, Minderjährige zum Beispiel und Menschen ohne Aufenthaltsrecht.

 

Professor Dr. Ulrike Lembke, Professorin für Gender und Recht an der Humboldt‑Universität zu Berlin formulierte es in einer Stellungnahme so: „Umstrittene Freiwilligkeit, hierarchisches Geschlechterverhältnis, gesellschaftliche Abwertung und die mangelnde Bereitschaft zur angemessenen Entlohnung machen Sexarbeit zu einer regulierungsbedürftigen Form der Erwerbsarbeit, bei der Gewaltschutz, Menschenwürde und Autonomie nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen.“ Das ist leider aus Sicht der GRÜNEN mit dem Prostituiertenschutzgesetz nicht gelungen. Die Melde- und Beratungspflicht in einem Sondergesetz müssen die Sexarbeiterinnen in hohem Maße als stigmatisierend wahrnehmen. Umso wichtiger ist es nach unserer Meinung, bei der Umsetzung mit Bedacht vorzugehen.

 

In Frankfurt sind Menschen in Sexarbeit zu unterschiedlichsten Rahmenbedingungen tätig und es gibt neben selbstbestimmter Sexarbeit auch äußerst prekäre Arbeits- und Lebensverhältnisse und Zwangsprostitution. Niemand, der zum Beispiel die Situation an der Theodor-Heuss-Allee in Augenschein nimmt oder das Gespräch mit NGOs wie Finn, Tamara, EDH und KISS sucht, kann das infrage stellen. Sexarbeit hat sich gravierend verändert. Der überwiegende Teil der Frauen und jungen Männer, die in Frankfurt in Sexarbeit tätig sind, stammt heute aus Rumänien und Bulgarien. Nicht selten findet Sexarbeit in Familienverbänden statt. Es gibt einen brutalen Preisdruck, auch in den Laufhäusern, und die steuerlichen Regelungen, soweit überhaupt vorhanden, stärken ausbeuterische Strukturen.

 

Für uns GRÜNE ist das Maß der Dinge das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die Sicherstellung humanitärer und sozialer Standards. Wir wollen dabei einen diskriminierungsfreien, einen weltoffenen Umgang mit Sexarbeit und wir wollen nicht, dass möglicherweise gut gemeinte Regelungen zusätzlichen Druck auf die Sexarbeiterinnen erzeugen.

 

(Beifall)

 

Es geht bei diesem Thema um Sexualität. Es geht um Geld und um mehr als in anderen Bereichen, um persönliche Wert- und Moralvorstellungen, das ist nicht zu leugnen. Das wird von manchen Interessenverbänden zu Recht kritisiert, dennoch bestehen die Wertvorstellungen ebenfalls zu Recht. Sie treffen nicht nur hier im Plenum, vielleicht in jeder Fraktion, sondern in der öffentlichen Debatte teilweise unversöhnlich aufeinander bis hin zur Frage, was ist denn unmoralischer, Sexarbeit oder Investmentbanking? Dennoch hat die Koalition just in time mit der Vorlage NR 295 zu einer gemeinsamen Haltung gefunden und sich handlungsfähig gezeigt. Darüber bin ich sehr froh. Wir wollen in Frankfurt Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter schützen, Kriminalität, Ausbeutung und Gewalt bekämpfen und Zwangsprostitution eindämmen, selbstbestimmtes Arbeiten ermöglichen, Krankheitsprävention und medizinische Versorgung verbessern, transparente Abgabeverfahren und eine diskriminierungsfreie Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes erreichen.

 

(Beifall)

 

Ich bin mir sicher, dass das unter der Federführung von Stadtrat Stefan Majer vorurteilsfrei in Angriff genommen wird.

 

Wir installieren außerdem zur Beratung von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung einen Fachbeirat, von dem wir uns praxistaugliche Hinweise erwarten, wie die Umsetzung des Gesetzes erfolgen kann. Warum einen Fachbeirat einrichten? Die wenigsten von uns, in Politik und Verwaltung, haben Kenntnisse, wie praxistaugliche Maßnahmen aussehen müssen. Deswegen ist es der richtige Weg, sich hierbei Rat bei denen zu holen, die mit dem Thema täglich vertraut sind und diese wünschen sich ausdrücklich, dass sich Stadt und Verwaltung in den Prozess einbringen. Den von der LINKEN. vorgeschlagenen Weg, allein die Verwaltung und den Magistrat mit der Beantwortung eines Fragenkatalogs zu beschäftigen und dann erst einen Fachbeirat einzusetzen, halten wir für falsch.

 

(Beifall)

 

Politiker fragen, Ämter antworten, ohne Anhörung der Beteiligten, was soll das bringen? Einen Dauerkonflikt, bei dem die Fronten hübsch klar sind, zulasten derer, die Unterstützung brauchen. Der Fachbeirat soll uns beraten. Wir stehlen uns dabei keineswegs aus der Verantwortung. Die Entscheidung liegt nach wie vor hier. Das Prostituiertenschutzgesetz tritt am 01.07.2017 in Kraft. Die Kommunen haben bis zum Jahresende Zeit. Der Fachbeirat sollte also so schnell wie möglich einberufen werden. Ich bitte um Ihre Zustimmung. Das ist gut für alle, die in dem Bereich tätig sind. Es ist höchste Zeit für eine Stadt wie Frankfurt.

 

Vielen Dank!

 

(Beifall)