Oktober 6, 2014

Zur (Un)Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik

NATIONALITÄT: FRANKFURTERIN Gute Resonanz und eine spannende Debatte, die nach Fortsetzung verlangt.

Mit der Veranstaltung zur (Un)Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik und der Repräsentanz von Frauen in der Kommunalpolitik am 14. September wurde offenbar ein Nerv getroffen. Etwa 25 Menschen beiderlei Geschlechts und jeden Alters mit und ohne Mandat oder Parteibuch fanden am späten Sonntagmorgen den Weg in die Ausstellungshalle Schulstraße 1a. Und ebenfalls erfreulich: Pressevertreterinnen kamen und haben umfangreich berichtet.

Ein faktenreiches und provokantes Impulsreferat lieferte Dr. Manuela Rottmann, Grüne Stadträtin a.D. Aufschlussreiche Zahlen und Erkenntnisse steuerte u.a. eine Veröffentlichung des Bundesministeriums für Familie, Frauen, Senioren und Jugend aus dem Jahre 2010 bei, die unbedingt zum Nachlesen empfohlen werden kann. „Engagiert vor Ort“

http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationsliste,did=166736.html

Zwei der zentralen Erkenntnisse der Studie konnten von den Anwesenden zu 100% bestätigt werden:

Die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit, Kindererziehung und politischem Mandat ist vorwiegend nur im zeitlichen Nacheinander möglich. 71 % der befragten Stadt- und Gemeinderätinnen sind Mütter. Allerdings sind bei zwei Dritteln die Kinder bereits „aus dem Gröbsten“ heraus, also älter als 16 Jahre; nur 7 % der Frauen versorgen Kinder unter fünf Jahren. 64 % der Kommunalpolitikerinnen sind erwerbstätig, jedoch ist die Hälfte in Teilzeit tätig und hier wiederum der größere Teil mit weniger als 20 Stunden wöchentlich. Nur ein knappes Fünftel hat Kinder im Haushalt und geht gleichzeitig einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach. Das liegt keinesfalls daran, dass die Frauen nicht wollen. Auch das besagt die benannte Studie. Gerade die Kommunalpolitik kommt den Motiven vieler Frauen entgegen. Und das bestätigten die anwesenden Frauen, von denen einige genau nachfragten, wie es um die Belastung und Rahmenbedingungen steht.

„Kommunalpolitikerinnen wollen etwas für andere und für sich selbst tun: Über 80 % schätzen an ihrem kommunalpolitischen Ehrenamt, dass sie politisch Einfluss im Sinne von allgemeiner Mitgestaltung nehmen können, an der Kommunalpolitik schätzen sie insbesondere die Nähe zu den Bürgerinnen und Bürgern.“

Dass trotzdem wenige „kluge Frauen in den besten Jahren“ in der Kommunalpolitik sind, wundert aber nicht. Ursächlich ist insbesondere die Organisation und Kultur der ehrenamtlichen politischen Arbeit. Viele Sitzungen, teilweise in der Arbeitszeit oder auch bis weit in den Abend, greifen in Beruf und in familiäre Verpflichtungen über. Sitzungsbeginn um 16 Uhr, auch um 17 Uhr ist mit einer Vollzeitbeschäftigung kaum zu vereinbaren. Auf der anderen Seite ist für Eltern mit kleineren Kindern ab 19:30 Uhr spätestens der Abend zu beenden, so dass ein späterer Beginn alles andere als familienfreundlich ist. Derzeit muss die Kinderbetreuung selbst organisiert werden und wird auch entsprechend der HGO auf Antrag nur bis 19:00 Uhr erstattet. Dies jedoch auch nur alternativ zu einer Verdienstausfallpauschale.

In der „perfekten Welt“ mit unterstützendem und fördernden Partner ist die Vereinbarkeit noch am ehesten zu schaffen, so zeigen auch die Studien. In Frankfurt mit dem hohen Anteil Alleinerziehender und Zugezogener, denen häufig das familiäre Netzwerk fehlt, besteht großer Handlungsbedarf. Die hohe zeitliche Inanspruchnahme, die Präsenzkultur, die Erwartungen von BürgerInnen nach Omnipräsenz und Omnikompetenz alle diese Anforderungen greifen zu, auf die für Berufstätige mit Familie am wenigsten verfügbare Ressource: auf die Zeit.

Reduziert man die Arbeitszeit oder verzichtet man als Selbständige und Künstlerin auf Einkommen, so hat man trotz der Aufwandsentschädigung dauerhafte (Aufwandsentschädigungen sind nicht sozialversichert) wirtschaftlichen Nachteile, Verdienstausfall und hohe Kinderbetreuungskosten. Die Strukturen führen nicht nur dazu, dass Frauen mit kleineren Kindern nicht adäquat in den Parlamenten repräsentiert sind. Tendenziell gilt das natürlich auch für Männer. Und der Charakter der politischen Kultur schließt offensichtlich auch andere Berufsgruppen und Migrantinnen und Migranten aus, wie Analysen zeigen.

Selbstdarstellung und Präsenz gehören allerdings in einem gewissen Umfang zur Eigenart gerade von Kommunalpolitik. Auch brauchen demokratische Debatten und Streitkultur eine gewisse Zeit und einen Rahmen. Trotzdem gab es große Zustimmung für das Statement von Manuela Rottmann: „Vielleicht wird Präsenz immer die politische Leitwährung bleiben, aber es gilt die Macht des Sitzfleisches zurückzudrängen.“

Was aber kann die Situation verbessern?

Folgende Vorschläge und Überlegungen kamen u.a. in der Diskussion:

ein Angebot von Kinderbetreuung während Sitzungen und Übernahme von Babysitterkosten auch am Abend

Professionalisierung der Stadtverwaltung durch weniger, aber hauptamtliche Stadtverordnete oder nach dem „Münchner Modell“

Verringerung der Termine durch Zusammenlegung von Ausschüssen

Begrenzung von Redezeiten

Quotierte Redelisten

Zusätzliche Mitarbeiter, um Stadtverordnete von Arbeit zu entlasten

Rotation

An dem Thema muss auf jeden Fall weiter gearbeitet werden, da waren sich alle einig. Und es muss bald angepackt werden, damit die Chance besteht, es im Rahmen der bevorstehenden Kommunalwahlen 2016 zu ändern.

Ich bin schon dran und weitere Termine zum Thema werden folgen.

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